„Use the floor!“

ungeachtet vieler anderer Verpflichtungen ließ ich es mir nicht nehmen, am 18. Juni 2011 wieder beim alljährlich stattfindenden Lehrgang mit Shihan Kawasoe Masao 8. DAN in Kaltenkirchen dabei zu sein. Was zieht uns zu diesem herausragenden Meister elementarer Karate-Techniken? Anscheinend die Erwartung einer idealen Hinführung an das, was uns BT Karamitsos anlässlich des Schleswiger Karate-Januars mit auf den Weg gab: In der Grundschule erfahre ich, dass sich jede Technik von Mal zu Mal anders anfühlt – aber nur wenn ich es wissen will. Wenn mir diese Achtsamkeit, diese Neugier fehlt, erreiche ich für mich keine Karate-Veränderung zum Besseren.

Ehrfurcht und Respekt dominierten die Atmosphäre, sie wurde von mehr als fünfzig Jahren geballter Kampfkunst-Erfahrung bestimmt, der sich die Lehrgangsteilnehmer in der Person des englischen Chefinstruktors gegenübergestellt sahen. Bei diesem Lehrgang war das Generalthema Kraftstoß und Impuls aus dem Untergrund. Zunächst trainierten alle Graduierungen gemeinsam. Gyaku-Zuki auf der Stelle im Kamae und Oi-Zuki im Stand, dann im Vorgehen, ebenso Age-Uke. Anschließend dies mit Partner, jedoch nicht als Gohon-Kumite, sondern nur als Sanbon-Kumite. Hört sich leicht an. Es war aber verdammt schwer, dabei die meisterlichen Unterweisungen zu berücksichtigen. Weniger, wie den Fauststoß, so auch Hikite von der Mitte ausgehen zu lassen, damit der Körper keine Rotationskräfte um den Hara abfangen muss. Auch das Arbeiten beim Shuto, entsprechend Gedan-Barai, nach unten statt zur Seite, desgleichen Soto- oder Uchi-Uke, war einzusehen. Doch schon die vom Shihan vorgegebene Hüftarbeit bereitete Mühe. Die als ersten Impuls aus dem Boden herauszuholende Kraft durch Druck der Füße nach unten stellte aber dann alle vor Probleme, erst recht die niedrigen Farbgurte, da half ihre Untermischung unter die Schwarzgurte und dass Meister Kawasoe es wieder und wieder vormachte wenig.

Als nach zwei Stunden schweißtreibenden Übens und einer viertelstündigen Pause die Graduierungen ab 3. Kyu aufwärts bei der nächsten Trainingsstunde unter sich waren, ging es weiter im Sinne der nachdrücklichen Aufforderung Meister Kawasoes: „Use the floor!“ Na gut, zugunsten der Stabilität und Kraftentfaltung aus dem Unterbau im Kokutsu kürzer und dafür niedriger zu stehen, mag noch einleuchten, ebenso wie man der Vorübung zum Mae-Geri etwas abgewinnen konnte, im einbeinigen Stand das nach hinten frei schwebend gehaltene Bein mit der Hüfte nach vorne zu katapultieren, um dies schließlich auch aus Kamae in einem Bewegungszug umzusetzen. Aber die festen, Erdenergie reflektierenden Zweifach- und Dreifach-Steppschritte im Stakkato, ohne dass sich die Füße vom Boden lösen, richtig zu machen, anstatt sich wie gewohnt dynamisch nach vorne zu werfen, das blieb den einsamen, geduldigen Demonstrationen des Meisters vorbehalten, während sich alle anderen nur in vergeblichen Annäherungen an die Lösung der gestellten Aufgabe abmühten. Denn frei nach dem Star-Fußballtrainer Christoph Daum ist hier nicht der Kopf das dritte Bein, sondern der Boden das zweite Paar Arme. Konzentrierst du dich zu sehr auf den Druck der Füße in den Boden, um von dort Kraft zu holen, wird dein Zuki schwach, umgekehrt nutzt du nicht die Basis unter dir, wenn du deine Aufmerksamkeit zu sehr auf deine Faust richtest. Bleibt mir nach dem Lehrgang die Hoffnung, dass ich vielleicht irgendwann das Erleuchtungserlebnis der fließenden Bewegungsfolge vom Fußdruck über den Hüfteinsatz zur Technik habe und damit die Lösung des mir an diesem Tag vom Meister aufgegebenen Koans.

Ich gestehe, ich habe vom eigentlichen Anliegen Shihan Masao Kawasoes ziemlich wenig verstanden, und was ich meine verstanden zu haben, kann ich noch kaum unverkrampft nachvollziehen. Hier vereinigen sich letztlich die Wegweisung des japanischen Großmeisters und die unseres Bundestrainers Karamitsos, dass man im Zen-Geist bestrebt sein muss, die scheinbaren Karate-Geheimnisse durch beständige Wiederholungsarbeit absichtslos aufzudecken. Und hier können wir auch die weiter gefasste Aussage des großen Mystikers Meister Eckart auf das Karate-Do übertragen: „Solange der Mensch dieser Wahrheit nicht gleicht, solange wird er diese Lehre nicht verstehen.“ Werden wir Karate! Das ist unser Weg, der Weg immer strebenden Bemühens.

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